Barrieren Management
In Gedanken mag es einfach klingen, ein neues Verhalten zu starten. Nicht selten kommen einem im Alltag aber unerwartete Probleme entgegen, welche es verunmöglichen, das eigene Ziel zu erreichen. Aus diesem Grund ist das sogenannte Barrieren Management eine der wichtigsten Verhaltensänderungstechniken. Bei dieser Technik geht es darum zu analysieren, welche Situationen oder Bedingungen Hindernisse waren oder sein könnten. In dem man sich dazu Gedanken macht, soll man die Barrieren vorwegnehmen und sinnvolle Strategien entwickeln, diese zu umgehen.
Innere und äussere Barrieren
Aufkommende Barrieren können sehr vielseitig und sehr individuell sein. Grob betrachtet, lassen sich allerdings zwei Arten von Barrieren unterscheiden:
Bei den inneren Barrieren handelt es sich um Hindernisse, die hautsächlich «in unserem Kopf» zu finden sind und die von anderen nicht zwingend als solche erkannt werden. Typische Beispiele sind Bequemlichkeit, Lustlosigkeit, Müdigkeit, Niedergeschlagenheit aber auch Ängste vor Verletzungen, dem Urteil der Mitmenschen oder musternden Blicken. Auch fehlendes Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten (Gedanken wie «ich schaffe das eh nicht») kann eine innere Barriere darstellen.
Zu den äusseren Barrieren zählen Lebensumstände und Bedingungen, welche uns eine Handlung erschweren. Dies könnten beispielsweise ein grosser Organisationsaufwand, schlechtes Wetter oder hohe Kosten sein. Aber auch eine starke berufliche Auslastung, ein Trainingspartner der abgesagt hat oder familiäre Verpflichtungen, welche den Alltag bereits ausfüllen, würden äusseren Barrieren zählen.
Wenn man Personen nach ihren Hindernissen fragt, wird am häufigsten die Barriere «keine Zeit» genannt. Diese fehlende Zeit für etwas, das man sich neu vornimmt, kann je nach Erklärung eine innere oder äussere Barriere darstellen. Zum Beispiel kann jemand keine Zeit haben, weil er/sie nach einem sehr langen, körperlich anstrengenden Tag zu müde ist um sich z.B. noch etwas Gesundes zu kochen. Auf Grund der Müdigkeit hat dann das Ausruhen auf dem Sofa und entsprechend der Pizzalieferdienst Priorität. Umgekehrt kann jemand anderes «keine Zeit» haben, weil er weit zur Arbeit pendelt, noch einkaufen muss und am Abend Zeit mit der Familie verbringen will. Die 30 Minuten Bewegung mit anschliessenden Duschen sind dann, neben diesen Aufgaben, schwierig unterzubringen. Wie die beiden Beispiele zeigen, verstecken sich hinter dem Hindernis «keine Zeit» häufig «andere Prioritäten». Wir haben alle täglich 24 Stunden zur Verfügung, aber wir haben unterschiedliche Ansprüche, was wir in dieser Zeit unbedingt unterbringen möchten oder subjektiv betrachtet auch wirklich müssen.
«Wir sind nicht nur verantwortlich für das, was wir tun, sondern auch für das, was wir nicht tun»
(Molière)
Des Weiteren kann es sein, dass man bei der Umsetzung eines Vorsatzes auf initial unerwartete Folgen für andere Bedürfnisse trifft. So kann jemand bemerken, dass es zwar einfach ist, sich alleine gesünder zu ernähren, dies aber zu einer Sache der Unmöglichkeit wird, wenn man sich mit Freunden trifft, aber keines Falls auf diese Abende verzichten will. Jemand anderes hat sich vielleicht entschieden, stets mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren, bemerkt aber, dass die Zeit im Tram zum SMS schreiben und Zeitunglesen nun fehlt! Auf derartige, konkurrierende Bedürfnisse treffen wir immer wieder. Auch sie lassen die Frage nach der Priorität aufkommen. Finde ich eine Lösung oder ist der Vorsatz aus dieser Perspektive plötzlich nicht mehr erstrebenswert? Wie du unterhalb lesen wirst, lässt sich «keine Zeit» sowie «konkurrierende Bedürfnisse» manchmal durch Vereinfachungen oder durch geeignete Kompromisse umgehen. Dennoch bleibt das Priorisieren und «sich durch akute Bedürfnisse nicht vom Fernziel ablenken lassen» immer wieder eine Herausforderung.
Effektive Strategien entwickeln
Eigentlich liessen sich fast alle Barrieren als «konkurrierende Bedürfnisse» beschreiben. Dies verdeutlicht, dass man genau hinsehen muss, damit man die eigenen Hindernisse besser versteht und danach Strategien entwickeln kann, um die Hindernisse zu umgehen. Je nach Situation können die nachfolgenden Fragen helfen, sich selber besser zu verstehen:
Überlege dir bereits vor Beginn deiner Verhaltensänderung:
- Was könnte mir in den Weg kommen?
- Wann fällt es mir wohl leicht, wann eher schwer?
- Muss ich auf etwas verzichten, damit ich das Verhalten umsetzen kann? Will ich dies? Und, was ist mir wirklich wichtig?
Häufig werden Hindernisse erst mit dem Versuch einer Umsetzung in ihrem ganzen Ausmass spürbar. Bedenke auch, dass je nach Situation unterschiedliche Hindernisse für dasselbe Ziel auftreten und, dass sich die Hindernisse immer wieder verändern können. Beobachte daher gemachte Erfahrungen und analysiere die Situationen retrospektiv.
- Welcher Aspekt der Situation macht es schwierig mein Ziel zu erreichen? Ist etwas eingetroffen, an das ich initial nicht gedacht hatte?
- Kann ich diesen Teilaspekt irgendwie umgehen? Was müsste geschehen, damit ich mein Ziel trotz dieser Situation erreichen würde?
- Wieso fiel es mir einmal leicht und einmal schwer? Wie unterschieden sich die Situationen?
- Muss ich mein Ziel eventuell anpassen, damit andere Prioritäten auch noch Platz haben? Möchte ich dies?
Auf Basis dieser Selbstbeobachtung werden in einem nächsten Schritt Strategien gesucht, um Hindernisse zu umgehen und um Kompromisse oder alternative Pläne für konkurrierende Bedürfnisse zu finden. Dies kann 1. beinhalten, dass man einen Weg findet, damit konkurrierende Bedürfnisse neben dem Zielverhalten Platz haben. Ich könnte beispielsweise entscheiden, dass ich zwei Mal pro Woche über Mittag Sport mache und die anderen drei Male Zeit für ein kollegiales Mittagessen haben werde. Vielleicht lassen sich 2. die Bedürfnisse auch in Kompromissen verbinden. Idealerweise könnte man z.B. soziale Interaktion mit Bewegung verbinden. Oder man bezieht die Familie in eine neue Ernährungsgewohnheit mit ein. 3. Hilft es vielen, wenn man genau plant «was mache ich, wenn … eintrifft»? So kann ich mich beispielsweise bereits im Vorfeld entscheiden, dass ich einen Regenspaziergang mache, sofern es zu nass und zu kalt zum rennen ist. In diesem Fall lohnt es sich, sich genau zu überlegen, wie schlecht das Wetter genau sein muss, damit der Plan B zum Tragen kommt. Ansonsten besteht die Gefahr, dass man es sich selber durch eine Ausrede vereinfacht. Häufig liegt das Ziel der Verhaltensänderung in ferner Zukunft, während andere Bedürfnisse im «jetzt» dringend wirken. Aus diesem Grund sind wir im jetzt offen für derartige «Ausreden», die einem das Fernziel aus den Augen verlieren lassen. Schliesslich kann man 4. vereinfachende Situationen bewusst herbeiführen oder erschwerende Situationen explizit umgehen. Wenn ich mir z.B. vornehme, mehr zu Lesen anstatt Zeit mit Netflix zu verbringen aber mein Partner den Fernseher sowieso anstellt, könnte es mir helfen, wenn ich mir an einem anderen Ort ein eigenes «Leseplätzchen» einrichte. Umgekehrt merke ich vielleicht, dass es mir viel leichter fällt direkt nach der Arbeit ins Fitnessstudio zu gehen, da ich so gar nicht erst auf die Idee komme, mich noch hinzusetzen und nicht mehr aufzustehen. Um dies zu vereinfachen, könnte ich die Trainingstasche jeweils bereits am Morgen mitnehmen.
Einige Umsetzungstipps
Beim Erstellen von Strategien ist es ganz zentral zu wissen, dass es keine Patentlösung gibt. Jeder und jede muss für sich herausfinden, was am besten funktioniert. Jeder und jede kennt die eigenen Hindernisse am besten und auch wenn es schön wäre, jemand von aussen könnte unseren inneren Schweinehund überwältigen, so ist jeder der oder die Einzige, der/die das eigene Verhalten ändern kann. Nichts desto trotz kann es unterstützen, wenn man erfährt, was bei jemand anderem funktioniert hat. Die nachfolgenden Beispiele sind in diesem Sinn als Ideen zu verstehen, um von da aus selber mögliche Strategien zu entwickeln.
- Bei fehlender Zeit kann man sich einen fixen Termin in den Kalender eintragen. Diesen sollte man dann z.B. wie einen Termin bei einem Physiotherapeuten bewerten. Muss der Termin wirklich verschoben werden, so muss direkt ein alternativer Termin vereinbart und fixiert werden.
- Starthilfen bereitlegen: Sich nach der Arbeit noch aufzuraffen um laufen zu gehen kann schwierig sein. Dabei hilft es vielen, wenn sie z.B. die Laufkleider bereits bereitlegen oder sich umziehen bevor man sich noch kurz hinsetzt und etwas trinkt.
- Häufig fehlt bei grossem Hunger die Geduld zum Kochen. In dem Fall kann es helfen, wenn der gröbste Hunger durch einen gesunden Zvieri etwas hinausgezögert wird.
- Herausfinden, was einem Spass macht: Nicht wenige bemerken, dass eine erste Idee vielleicht nicht die Ideale war und man z.B. keinen Spass an Nordic Walking entwickelt. In dem Fall lohnt es sich, den Plan abzuändern und Verschiedenes auszuprobieren, um das zu finden, was einem am ehesten entspricht.
- Bei Müdigkeit und Erschöpfung ist gerade körperliche Aktivität wirklich schwierig umzusetzen. Damit dies aber nicht zur Ausrede werden kann, um einfach nichts bzw. irgendwas anderes zu machen, hilft es vielen, wenn sie die Zeit dennoch für sich investieren und einer ruhigeren Aktivität nachgehen. Man könnte in dem Fall einen Spaziergang machen anstatt zu joggen. Oder man nimmt sich ein sanftes Durchbewegen anstelle von Krafttraining vor.
- Regeln und Ausnahmen definieren: Man könnte beispielsweise. festlegen, dass man unter der Woche, wenn die Lust auf Bier aufkommt, alkoholfreies Bier trinkt. Dass man aber auch eine Ausnahme pro Woche machen kann, wenn dazu ein spezieller Anlass besteht.
- Freunde einbeziehen: Sich mit jemandem verabreden, um z.B. gemeinsam nach draussen zu gehen, kann eine grosse Motivationshilfe darstellen.
- Hilfe fordern und Hilfe annehmen: Vielen fällt es schwer einzugestehen, dass man nicht ganz alles schafft und für gewisse Dinge Unterstützung braucht. Vielleicht muss man sich wirklich von einer anderen Verpflichtung zurückziehen, um Zeit für sich und seine gesundheitsrelevanten Verhaltensweisen zu bekommen.
Dranbleiben
Selbst wenn eine Verhaltensweise zur vermeintlichen Gewohnheit geworden ist, kann es vorkommen, dass neue, unerwartete Hindernisse auftreten. Vielleicht stellen eine anstehende Prüfung, ein Umzug oder ein Todesfall die Welt plötzlich auf den Kopf. In dem Fall ist es wichtig sich daran zu erinnern, dass «Rückfälle» in ein altes Verhalten normal sind. Überwundene, alte Gewohnheiten werden zu «schlafenden Gewohnheiten» die vielleicht irgendwann wieder den Weg des geringsten Widerstandes darstellen und wieder hervorkommen. Man kann sich dies wie ein Bachbett vorstellen. Über einen kleinen Staudamm und dem Vorformen eines neuen kleinen Bachbettes ist es einem gelungen, den Bach umzuleiten. Dieses neue Bachbett wurde bei vermehrter Nutzung immer besser ausgewaschen und grösser, so dass der alte Weg des Baches schon fast in Vergessenheit geriet. Wenn nun aber ein Hindernis im neuen Bachbett aufkommt, wird der Fluss den Weg zurück ins alte Bachbett finden. Denke in diesem Fall daran: Schon beim ersten Mal kamen Hindernisse auf, welche du umgehen musstest. Dieses Mal sind es sicher andere Hindernisse, die neue Strategien erfordern. Aber was du einmal geschafft hast, kannst du wieder schaffen!
Referenzen:
Fischer, X., Donath, L., Zwygart, K., Gerber, M., Faude, O. & Zahner, L. (2019). Coaching and prompting for remote physical activity promotion: Study protocol of a three-arm randomized controlled Trial (Movingcall). Int. J. Environ. Res. Public Health, 16(3), 331.
Gerber, M., Oberer, N. & Pühse, U. (2014). Beweg dich gesund! Ein praktischer Ratgeber für ein körperlich aktives Leben. Aachen: Meyer & Meyer Verlag. Michie, S., Richardson, M., Johnston, M., Abraham, C., Francis, J., Hardeman, W., . . . Wood, C. E. (2013). The behavior change technique taxonomy (v1) of 93 hierarchically clustered techniques: Building an international consensus for the reporting of behavior change interventions. Annals of Behavioral Medicine, 46(1), 81-95.